Leopold von Ranke

Im thüringischen Wiehe erblickte Anno 1865 unser großer deutscher Geschichtsforscher Leopold von Ranke das Licht der Welt. Der Sproß einer Priesterfamilie studierte an den Hochschulen von Leipzig und Halle an der Saale die alten Sprachen und die Gotteskunde. Es folgte die Tätigkeit als Lehrer am Gymnasium in Frankfurt an der Oder. Schon Anno 1824 erhielt er die Berufung zum außerordentlichen Professor der Geschichte an der Berliner Universität. Dort lehrte und arbeitete er bis Anno 1871, als er in den wohlverdienten Ruhestand ging. Seine wissenschaftlichen Verdienste brachten ihm die Zivilausgabe des Blauen Verdienstordens Friedrichs des Großen, die Ernennung zum Geheimrat und die Adelung ein. „Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514“, „Fürsten und Völker von Südeuropa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert“, „Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten“, „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“, „Zwölf Bücher preußischer Geschichte“, „Französische Geschichte, vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert“, „Englische Geschichte, vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert“, „Geschichte Wallensteins“, „Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges“, „Die deutschen Mächte und der Fürstenbund“, „Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792“, „Zur Geschichte von Österreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg“, „Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793 bis 1813“, „Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm IV. Zwei Biographien“, „Weltgeschichte“, „Über die Verschwörung gegen Venedig, im Jahre 1618“, „Die Osmanen und die spanische Monarchie im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert“ oder „Zur deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg“ lauten die Namen der Werke unseres Leopolds von Ranke und bezeichnen dessen Arbeitsgebiete. Seine Herzensdame Helena Clarissa Graves führte er Anno 1843 zum Traualtar. Es gingen vier Kinder aus der Ehe hervor. Den Vortrag „Über die Epochen der neueren Geschichte“ lasse ich unseren Leopold von Ranke zu seinem Wiegenfest zum Besten geben: https://archive.org/details/uberdieepochend00rank

„Zum Behufe der gegenwärtigen Vorträge ist es vor allem nötig, sich über zweierlei zu verständigen: erstens über den Ausgangspunkt, den man dabei zu nehmen haben wird; zweitens über die Hauptbegriffe. Was den Ausgangspunkt betrifft, so würde es uns für den vorliegenden Zweck viel zu weit führen, wenn wir uns mit der Anschauung in ganz entfernte Zeiten, in ganz abgelegene Zustände versetzen wollten, welche zwar immer noch einen Einfluß auf die Gegenwart ausüben, aber nur einen indirekten. Wir werden also, um uns nicht ins rein Historische zu verlieren, von der römischen Zeit ausgehen, in welcher eine Kombination der verschiedensten Momente zu finden ist. Hiernächst haben wir uns zu verständigen: erstens über den Begriff des Fortschritts im allgemeinen; zweitens über das, was man im Zusammenhang damit unter »leitenden Ideen« zu verstehen habe. Wollte man mit manchem Philosophen annehmen, daß die ganze Menschheit sich von einem gegebenen Urzustande zu einem positiven Ziel fortentwickelte, so könnte man sich dieses auf zweierlei Weise vorstellen: entweder, daß ein allgemein leitender Wille die Entwicklung des Menschengeschlechts von einem Punkt nach dem anderen forderte, – oder, daß in der Menschheit gleichsam ein Zug der geistigen Natur liege, welcher die Dinge mit Notwendigkeit nach einem bestimmten Ziele hintreibt. – Ich möchte diese beiden Ansichten weder für philosophisch haltbar, noch für historisch nachweisbar halten. Philosophisch kann man diesen Gesichtspunkt nicht für annehmbar erklären, weil er im ersten Fall die menschliche Freiheit geradezu aufhebt und die Menschen zu willenlosen Werkzeugen stempelt; und weil im andern Fall die Menschen geradezu entweder Gott oder gar nichts sein müßten. Auch historisch aber sind diese Ansichten nicht nachweisbar; denn fürs erste findet sich der größte Teil der Menschheit noch im Urzustande, im Ausgangspunkte selbst; und dann fragt es sich: was ist Fortschritt? Wo ist der Fortschritt der Menschheit zu bemerken? – Es gibt Elemente der großen historischen Entwicklung, die sich in der römischen und germanischen Nation fixiert haben; hier gibt es allerdings eine von Stufe zu Stufe sich entwickelnde geistige Macht. Ja es ist in der ganzen Geschichte eine gleichsam historische Macht des menschlichen Geistes nicht zu verkennen; das ist eine in der Urzeit gegründete Bewegung, die sich mit einer gewissen Stetigkeit fortsetzt. Allein es gibt in der Menschheit überhaupt doch nur ein System von Bevölkerungen, welche an dieser allgemein historischen Bewegung teilnehmen, dagegen andre, die davon ausgeschlossen sind. Wir können aber im allgemeinen auch die in der historischen Bewegung begriffenen Nationalitäten nicht als im stetigen Fortschritt befindlich ansehen. Wenden wir zum Beispiel unser Augenmerk auf Asien, so sehen wir, daß dort die Kultur entsprungen ist, und daß dieser Weltteil mehrere Kulturepochen gehabt hat. Allein dort ist die Bewegung im ganzen eher eine rückgängige gewesen; denn die älteste Epoche der asiatischen Kultur war die blühendste; die zweite und dritte Epoche, in welcher das griechische und römische Element dominierten, war schon nicht mehr so bedeutend, und mit dem Einbrechen der Barbaren – der Mongolen – fand die Kultur in Asien vollends ein Ende. Man hat sich dieser Tatsache gegenüber mit der Hypothese geographischen Fortschreitens helfen wollen; allein ich muß es von vornherein für eine leere Behauptung erklären, wenn man annimmt, wie zum Beispiel Peter der Große, die Kultur mache die Runde um den Erdball; sie sei von Osten gekommen und kehre dahin wieder zurück. Fürs zweite ist hiebei ein andrer Irrtum zu vermeiden, nämlich der, als ob die fortschreitende Entwicklung der Jahrhunderte zu gleicher Zeit alle Zweige des menschlichen Wesens und Könnens umfaßte. Die Geschichte zeigt uns, um beispielsweise nur ein Moment hervorzuheben, daß in der neueren Zeit die Kunst im 15. und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts am meisten geblüht hat; dagegen ist sie am Ende des 17. und in den ersten drei Vierteilen des 18. Jahrhunderts am meisten heruntergekommen. Geradeso verhält es sich mit der Poesie: auch hier sind es nur Momente, wo diese Kunst wirklich hervortritt; es zeigt sich jedoch nicht, daß sich dieselbe im Laufe der Jahrhunderte zu einer höheren Potenz steigert. Wenn wir somit ein geographisches Entwicklungsgesetz ausschließen, wenn wir andrerseits annehmen müssen, wie uns die Geschichte lehrt, daß Völker zugrunde gehen können, bei denen die begonnene Entwicklung nicht stetig alles umfaßt, so werden wir besser erkennen, worin die fortdauernde Bewegung der Menschheit wirklich besteht. Sie beruht darauf, daß die großen geistigen Tendenzen, welche die Menschheit beherrschen, sich bald auseinander erheben, bald aneinander reihen. In diesen Tendenzen ist aber immer eine bestimmte partikuläre Richtung, welche vorwiegt und bewirkt, daß die übrigen zurücktreten…“

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